Von Anfängen und Zukunftsplänen
Von Anfängen und Zukunftsplänen
Wenn uns 20 Jahre Theaterarbeit, Zirkusarbeit eins gelehrt haben, dann ist es das: Alles beginnt und endet mit gegenseitigem Respekt. Denn genau diesen brauchen wir, um gute und wertschöpfende Begegnungen zu gestalten – ob im Team, mit den Gästen, aber eben auch in der künstlerischen Kreation. Damit aus einem Konzept ein Stück werden kann, braucht es den Respekt und die Demut vor der Aufgabe, vor den Menschen, die alles wagen und vor der Herausforderung, die damit einhergeht.
Für uns gibt es keinen schöneren Ort, um permanent neue Begegnungen zu erleben und zu ermöglichen, als das Theater. Es ist ein Ort, der Gesellschaft zusammenkommen lässt und an dem wir Gemeinschaft üben können. Theater lässt uns gemeinsam Schönes oder Irritierendes erleben und als Resonanzraum Offensichtliches oder Verdrängtes zum Vorschein bringt. Aber vor allem zeigt uns Theater, wie es anders gehen kann, egal wie komplex und aussichtslos die Herausforderungen sind, die draußen auf uns warten: Theater ist ein Ort der Hoffnung und der Möglichkeiten.
Der Zeitgenössische Zirkus ist darin besonders gut, denn er stellt unser Verständnis von dem, was möglich ist, ständig in Frage. Im Publikum erleben wir Momente oder bestaunen Fähigkeiten, die wir für unmöglich oder übermenschlich hielten. Zirkuskünstler*innen führen uns über diese Grenze hinaus, hinein ins Unbekannte, Unerwartete, fast Unmögliche. Im besten Fall, wenn man ein richtig tolles zeitgenössisches Zirkusstück verlässt und wieder die Welt da draußen betritt, hat sich unser Verständnis für das, was in der Welt möglich ist, erweitert.
Wie großartig ist das denn? Für uns liegt hier der Funke, der uns bis heute antreibt. Am 14. September 2024 ist es 20 Jahre her, dass wir als Spielstätte neu starteten. Damals noch als winziges Team, ohne große finanzielle Basis und unter absurdesten Bedingungen (wer erinnert sich noch daran, wie einst die Hälfte unseres Saals als Baustelle abgesperrt war, während auf der anderen Hälfte des Bauzauns Vorstellungen von Caesar Twins & Friends stattfanden?). Es war eine wilde, nervenaufreibende, wundervolle Zeit. Und eine Zeit, in der alles möglich schien. Wo wollen wir hin? Wie wollen wir unser Programm gestalten? Als Kompass hatten wir die undefinierte Überzeugung, dass wir am besten immer unserer Neugier folgen. „Geht nicht, gibt’s nicht“ sollte unser Motto werden, wenn Künstler*innen mit einer Idee vor uns standen, die vollkommen unrealisierbar schien. Unsere Programmplanung war lange kein strategischer Entschluss, sondern ein Neuanfang, ein learning by doing, ein mutiger Aufbruch in ein immerwährendes Abenteuer.
Über die Jahre durften wir viel ausprobieren, Fehler machen, Neues lernen und uns und unsere Programmstrategie finden. Heute sind wir so abenteuerlustig wie eh und je, aber darüber hinaus haben wir eine klare Vision und definierte Struktur.
Das Chamäleon ist ein Theater für Zeitgenössischen Zirkus, ein Produktions- und Residenzort, Netzwerkpartnerin und Heimathafen für die Zeitgenössische Zirkusszene und seit 2022 eine gemeinnützige Gesellschaft. Wir haben den Begriff des Zeitgenössischen Zirkus in Deutschland entschieden und solidarisch mitgeprägt. Wir denken künstlerisch und arbeiten ganzheitlich. Wir sind ein Haus ohne festes Ensemble, sondern wir laden Künstler*innen ein, hier mit uns zu kreieren, zu schaffen, zu arbeiten.
Die Neugier und der Freigeist der Anfangszeit und begleiten das Chamäleon bis heute. Beides ist essentiell, damit Kunst überhaupt entstehen kann.
Oft werden wir gefragt, was wir als nächstes Vorhaben, besonders im Jubiläumsjahr. Wir möchten bessere Rahmenbedingungen für unsere Künstler*innen anbieten, mehr Spielraum für uns schaffen und verschiedene Spielmodelle ausprobieren, die es uns erlauben, Mehr aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu erleben. 2025 werden wir erstmals auf ein Modell mit drei Spielzeiten wechseln und arbeiten mit Hochdruck an einer Neuausgabe unserer Gastspielreihe Play im Jahr 2026.
Wir wünschen uns also ganz einfach, dass es weitergeht. Dass Menschen vor, auf und hinter der Bühne auch in Zukunft gerne zu uns kommen und wir die Möglichkeit bekommen, unsere Arbeit weiterzumachen. Darüber hinaus werden wir auch in den kommenden Jahren große Anstrengungen unternehmen den Zeitgenössischen Zirkus auch in anderen Orten sichtbarer werden zu lassen. Die Kunstform verdient, dass möglichst viele Menschen sich daran erfreuen können – nicht nur in Berlin.
Als Theater ist es leicht, seine eigene kleine Blase zu schaffen, schließlich ist das Kreieren von Gegenwelten unser Handwerk. Aber eine Blase hilft unser Gesellschaft nicht weiter: Wir brauchen Allianzen, Netzwerke, mehr Austausch, Begegnung und Dialog. Wir wünschen uns, dass unsere ganzheitliche Arbeitsweise weiterhin wächst und gedeiht und möchten auch in Zukunft ein Ort der Vielen für Viele sein – zugänglich, herzlich, offen, neugierig, aufrecht und voller Respekt.
Fotos: Mats Bäcker, Andy Phillipson