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Interview

Die Absurditäten des Lebens erkunden

Wir freuen uns sehr, die Clownin Gabriela Muñoz im Chamäleon zu begrüßen. In ihren Arbeiten kreiert Gabriela skurrile, detailverliebte Bilderwelten und visuelle Metaphern, die ganz unterschiedliche Emotionen hervorrufen. Vor kurzem ist Gabriela in unseren Probenraum eingezogen, um an ihrem vierten Solostück „Julieta“ zu arbeiten.

Gemeinsam mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen unterstützen wir „Julieta“ als Koproduzentin und können es kaum erwarten, dieses wunderbare Stück zum Leben zu erwecken. Im Interview spricht Gabriela mehr über ihre Arbeit, den Sprung ins Ungewisse und wie aus Ideen und Inspiration fantastische Bilderwelten werden.

Gabriela Muñoz vor dem Eingang zum Chamäleon

„Julieta“ ist Dein 4. Solostück. Bitte erzähle uns ein wenig über deine Arbeit und die Themen, mit denen Du Dich beschäftigen willst.

Ich habe schon vor einiger Zeit damit angefangen, „Julieta“ zu schreiben. Die Idee dazu kam mir, weil ich in einem Altenheim zu arbeiten begann, und außerdem dachte ich viel über meine Großtante nach, die Tante meiner Mutter. Ich sah sie eigentlich eher als meine Großmutter. Ich musste immer wieder daran denken, wie lebensfroh und wie wunderbar sie war. Und wie sehr ich mir wünsche, eines Tages auch so eine Frau zu sein. Als sich dann die Gelegenheit ergab und die MICC-Working Group in Montréal mich bat, ein Konzept vorzuschlagen, schrieb ich das hier.

Ich wollte eine Art Hommage an sie und ihr Leben schreiben. Dann habe ich angefangen, mehr über die Perspektive an sich nachzudenken, insbesondere über die weibliche Perspektive, darüber was es bedeutet, alt zu werden. Das war im Grunde mein erstes Thema für dieses Stück. Ich glaube, je mehr ich mich damit beschäftige und tiefer in das Thema eindringe, desto mehr verstehe ich die vielen anderen Schichten, in denen ich mich auf meinem Weg durch die Welt wiederfinde.

Und in gewisser Weise geht es in dem Stück darum, das Leben zu feiern. Ich denke, dass es sowohl in diesem Konzept als auch in diesem Moment sehr wichtig ist, Farben zu finden, auch da wo man sie manchmal nicht sehen kann. Ich wollte ein Stück schaffen, das von der Metamorphose oder der Veränderung der eigenen Haut spricht, um eine freiere Version von sich selbst zu werden. Mir ist klar geworden, dass mit dem Älterwerden die Räume kleiner werden und das Leben an sich zu einer Art Endspurt wird.

Ich denke also darüber nach, wie ich all diese Informationen in Bilder übersetzen kann, in etwas, das poetisch und hoffnungsvoll ist. Vielleicht ist „hoffnungsvoll“ ein seltsames Wort. Aber etwas, das ein erfülltes Leben reflektiert und fragt, was es bedeutet, am Leben zu sein und das Leben zu feiern.

In deiner Kunst befasst Du Dich oft mit Selbstfindung und setzt dich mit sehr komplexen Themenfeldern auseinander. Warum hast Du gerade diese Kunstform gewählt und was fasziniert dich an der Clownfigur?

Ich glaube, in der Clownkunst steckt sehr viel Menschlichkeit. In ihr geht es nicht nur um den Humor oder die lustigen Momente, sondern sie ist eine Möglichkeit, die Absurditäten des Lebens an sich zu erkunden. Und ich glaube, dass ich die Komik und den Humor eher in den kleinen, unbeholfenen Momenten finde, in Momenten, die sehr, sehr menschlich sind und die wir alle wiedererkennen können. In meiner Kunstform oder in meiner Arbeit strebe ich beides an: Realismus, aber gemischt mit Fantasie. Ich möchte Bilder schaffen, die eine Vorstellung von einer anderen, parallelen Welt voller Möglichkeiten vermitteln und uns erlauben, das Leben durch eine andere Brille zu sehen.

Deine Arbeiten stecken voller sehr ausdrucksstarker Bilder. Weißt du schon, welche Bilder Du für „Julieta“ kreieren möchtest?

Normalerweise bin ich es gewohnt, viel mit dem Publikum zu spielen, aber aufgrund von Corona werde ich wohl nicht viele Mitspieler:innen haben können. Also habe ich überlegt, wer stattdessen mein Partner oder Partnerin auf der Bühne sein könnte, und kam auf den Gedanken, dass es vielleicht der Raum und das Bühnenbild selbst sein sollte. Dieser Gedanke sollte sich also in der Erzählung wiederfinden.

Im Moment habe ich viele Bilder oder Ideen im Kopf, die ich in etwas Visuelles umwandeln möchte. Ich sehe sie sehr deutlich vor mir und habe jetzt viel auszuprobieren und zu proben (lacht). Aber ich bin begeistert von der Idee, in etwas Tieferes einzutauchen. Es wird nicht unbedingt etwas Leichtes sein. Wenn ich an ein erfülltes Leben denke, dann denke ich, dass in uns allen schwarz und weiß steckt, Leben und Tod. Ich glaube, ich habe die helle Seite gut im Griff und begebe mich jetzt auf die andere Seite. Ich arbeite immer gerne mit Dualitäten. Denn ich denke, das macht ein Werk für die Menschen sehr zugänglich und hilft ihnen, eine Verbindung herzustellen und sich einfühlen zu können. Ich möchte mich selbst spiegeln, um dadurch Antworten auf meine Fragen zu finden.

Kannst Du uns ein bisschen über deinen Prozess erzählen? Wie gehst du vor, wenn Du etwas Neues probierst und die Bilder in Deinem Kopf verwirklichen möchtest?

Ich denke, mir kommen meist sehr klare Bilder oder Szenen in den Sinn. Dann versuche ich einfach, direkt loszulegen, ohne zu urteilen oder Angst davor zu haben, was funktionieren oder nicht funktionieren könnte oder was passieren kann. Denn was mir im Kopf so vorschwebt, ist das Eine, aber sobald ich anfange, mich zu bewegen und zu arbeiten, lande ich vielleicht an einem ganz anderen Ort.

Deshalb stelle ich mir immer ein paar Fragen: Bin ich bereit, diesen Weg zu gehen? Bin ich bereit, mich auf das Unbekannte einzulassen und den Prozess zu leben? Anstatt sofort ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Ich denke, so zu arbeiten ist sehr schön und beängstigend. Aber meistens bin ich überrascht, positiv überrascht. Ich bin oft über das Ergebnis überrascht. Die größte Herausforderung besteht also darin, mein Gehirn vorzubereiten (lacht). Und dann springe ich in die Leere und hoffe, dass ich nicht abstürze.

„Julieta“ erhielt Unterstützung durch FONCA und von der MICC Working Group on Circus Commissioning (TOHU, Montréal), einem internationalen Netzwerk, das sich der weltweiten Stärkung des zeitgenössischen Zirkus verschrieben hat.

„Julieta“ wird am 26. Mai 2022 bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen uraufgeführt. Alle Informationen und Tickets gibt es hier.

Fotos: Gianluca Quaranta