Meet The Artist: Ori Lichtik
In unserer Interviewserie stellen wir Künstler*innen und Kreative aus unseren Produktionen vor.
Ori Lichtik ist Musiker und Schlagzeuger und hat seine Karriere in den 1990er Jahren als DJ und Produzent auf Techno-Partys und Raves in Tel Aviv begonnen. Seit 2006 ist er Mitglied der L-E-V Dance Company von Sharon Eyal und Gai Behar. Dort komponiert er nicht einfach Soundtracks, sondern tritt live mit der Kompanie auf und konstruiert, spielt und formt die Musik direkt auf der Bühne. Dafür bewegt er sich in verschiedenen musikalischen Welten mit den unterschiedlichsten Stilen und Texturen – von Industrial und afrikanischen Stammesaufnahmen über Hip-Hop bis hin zu Barockmusik. Neben seiner Mitarbeit bei L-E-V hat Ori Lichtik Werke für Tanzkompanien und Opernhäuser auf der ganzen Welt geschaffen. Seit Jahren arbeitet er immer wieder mit Yaron Lifschitz und Circa zusammen und hat in unserer aktuellen Produktion Wolf die Musik komponiert.
Bitte erzähl uns ein wenig über Dich und Deine Arbeitsweise.
Ich bin Musiker, hauptsächlich Techno-DJ und Schlagzeuger, das ist die Basis für alles, was ich mache. Der DJ-Teil besteht darin, dass ich eine Vorliebe für Übergänge habe, ich mag Beats, ich mag Groove, ich mag Hypnose und Wiederholungen. Und Kontinuität ist sehr wichtig. Wenn ich zwei Ideen oder Musikstücke habe und an einem Übergang arbeite, um eine Kontinuität zwischen den beiden zu schaffen, dann wird dieser Übergang selbst oft zu einem neuen, anderen Musikstück. Und oft ist das dann viel cooler und interessanter und macht die ersten beiden plötzlich überflüssig. In den letzten 15 bis 20 Jahren habe ich hauptsächlich Musik für zeitgenössischen Tanz für Sharon Eyal gemacht. Aber ich lege immer noch auf, ich spiele Schlagzeug und habe eine Band namens AVAQ, von der wir gerade einen Track in Wolf spielen.
Wolf ist Deine dritte Zusammenarbeit mit Circa, nach Peepshow und Humans 2.0. Wie ist es, mit einem Zirkusensemble zu arbeiten?
Ich würde sagen, es ist die Zweieinhalb-ste. In Peepshow gab es Musik von mir, aber wir haben sie nicht gemeinsam kreiert – ich glaube, etwa ein Drittel des Stücks war von mir kreierte Originalmusik. Aber Humans 2.0 war eine vollständige und spezifische Zusammenarbeit.
Es ist interessant und anders, mit einem Zirkusensemble zu arbeiten. Ich erzähle Yaron und den Akrobat*innen immer, was ich von meiner Frau gelernt habe. Sie hat lange Zeit getanzt und sie hat immer gesagt, dass die Schwerkraft ein Miststück ist. Nachdem ich mit Circa und den Akrobat*innen gearbeitet habe, habe ich ihr gesagt, dass sie ja gar keine Ahnung hat! Was es für mich sehr herausfordernd, aber auch sehr interessant macht, ist dieser Aspekt der Schwerkraft. Es ist ein Fluss, über den man keine Kontrolle hat. Ich meine, die Akrobat*innen können sie bis zu einem gewissen Grad kontrollieren, und das ist sensationell. Aber für mich ist die Kontrolle immer begrenzt, weil in den Choreografien so viel Schwerkraft steckt, wie Springen und Fallen. In der Musik und im Tanz bestimmen der Groove, der Flow und der Rhythmus alles. Ich glaube, im Zirkus sind die Bewegungen viel stärker von der Schwerkraft abhängig. Ich finde es ziemlich herausfordernd, aber auch irgendwie cool, herauszufinden, wie und wo der Groove alles funktionieren kann. Und ich denke, das macht diese Zusammenarbeit so einzigartig.
Gibt es ein Erlebnis, das dich dazu gebracht hat, Musiker zu werden?
In letzter Zeit habe ich festgestellt, dass ich selten eine bewusste Berufswahl getroffen habe. Auf vielen meiner Wege sind die Dinge einfach passiert. Jede*r liebt Musik und auch jetzt spüre ich wieder im Studio mit Yaron, dass ich nicht mehr über Musik weiß als andere. Denn in der Musik geht es um Emotionen, und niemand weiß mehr über Emotionen als ein*e andere*r. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich weniger weiß.
Ich mochte einfach Musik und fing an, damit herumzuspielen, als ich 12 war. Ich nahm Doppelkassetten und kopierte und fügte Hip-Hop-Songs ein, Filme und alles, was ich in die Finger bekam. Ich dachte nicht daran, Musiker zu werden, ich machte einfach mein Ding, und später, als ich in Clubs ging und anfing, Techno und Acid-Partys zu spielen, hatte ich einfach Spaß daran. Natürlich habe ich mir in manchen Momenten eine DJ-Karriere vorgestellt, aber letztendlich ist es einfach passiert. Genauso war es mit der Verbindung zu Sharon Eyal. Wir kannten uns, und es war einfach so: vielleicht willst du mal im Studio vorbeikommen, vielleicht hast du ein paar Ideen – alles hat sich entwickelt, es war nie eine Entscheidung.
Was kannst Du uns über die Musik von Wolf erzählen?
Sie ist düster. Ich habe diese Tendenz, in der Musik düster zu werden. Als ich das erste Mal mit Yaron gezoomt hatte, sagte ich ihm, dass ich dieses sehr klare Wort Wolf liebe. Es ist ziemlich stark, ich mag es. Wir unterhielten uns und ich sagte ihm, dass ich Wölfe mag, ich schätze sie sehr, sie haben viele Seiten. Aber wenn man an die unmittelbare Konnotation denkt, sind Wölfe nie verspielt – sie sind finster, einsam, wild. Ich neige also dazu, düster zu werden, weil ich das liebe, und ich liebe Subtext. Ich liebe Dinge, die nicht so klar sind. Aber ich weiß, dass es immer einen Platz für Verspieltheit und Unbeholfenheit gibt, der die Dunkelheit ausgleichen kann.
Du warst in Australien im Proberaum und steckst jetzt mitten in den Voraufführungen in Berlin. Bitte erzähl uns ein wenig über deine Arbeit und wie es im Proberaum läuft!
Nun, ich sitze meistens im Studio und beobachte, was so vor sich geht. Ich versuche, mich von der Komposition, den Bewegungen und den Worten inspirieren zu lassen, die ich Yaron zu den Akrobat*innen sagen höre, oder ich höre die Akrobat*innen untereinander sprechen. Ich möchte ihnen mit meiner Musik Unterstützung geben, das ist immer meine Absicht, auch bei Tanzstücken. Und dann ist es toll, wenn die Musik rauskommt, aber die Musik im Proberaum ist hauptsächlich dazu da, die Akrobat*innen zu unterstützen und die Vibrationen des Stücks zu erzeugen.
Im Grunde versuche ich, einen Raum zu schaffen. Ich denke in der Kunst, vor allem in der Bühnenkunst, ist es wichtig, einen Raum zu schaffen – eine Welt, ein Universum -, in der man frei kreieren kann und in den man Leute einladen kann. Ich denke, dass jedes gute Kunstwerk Menschen an einen Ort führt, der unerwartet ist und neu und aufregend. Und als Künstler möchte ich dazu beitragen, die Menschen an einen solchen Ort zu versetzen. Ich denke, das ist es, was wir alle im Proberaum tun, und ich versuche, meinen Weg zu finden, um dabei Unterstützung zu geben.
Ori Lichtik hat eine kleine Playlist mit Songs zusammengestellt, die ihn bei der Komposition der Musik für Wolf inspiriert haben. Die Playlist kann man auf Youtube anhöhren.
Portraits: Ron Kedmi