Balancieren, Lavieren, Konzentrieren
Hexerei, Zirkus, Varieté, Meditation – wer hat den Titel noch nicht gelesen und denkt trotzdem schon an Jonglage?
Wie lange es die Kunst der Jonglage tatsächlich schon gibt, weiß niemand so richtig. Im 6. Jahrhundert waren Jongleur:innen aber bereits prominenter Bestandteil von Jahrmärkten und Festen. Auch wenn die Gäste die Darbietungen oft skeptisch beobachteten, da sich viele Diebe und Landstreicher in der Jonglage versuchten. Kleriker warfen den Künstler:innen nicht selten lose Moral oder sogar Hexerei vor. Das Wort Jongleur:in stammt übrigens vom lateinischen Begriff „ioculator“ ab. Übersetzt werden kann das mit „Spaßmacher“. Das deutsche Wort „Jux“ kommt aus dem gleichen Wortstamm: „iocus“, lateinisch für „Spaß“. Im 11. Jahrhundert waren Jongleur:innen häufig als Alleskönner mit Minnesänger:innen oder Unterhaltungskünstler:innen unterwegs, um Adlige zu bespaßen und zu unterhalten.
Erst mit der Industrialisierung und der Gründung des ersten modernen Zirkus‘ durch den Zirkus-Urvater Philip Astley 1768, fanden Jongleur:innen professionelle Arbeit. Von da an waren Jonglage als Kunstform von Zirkus und Varieté nicht mehr zu trennen. Oft führten Jongleur:innen kleine Kunststücke vor dem Vorhang auf, während dahinter die Bühne umgebaut wurde.
Im modernen zeitgenössischen Zirkus findet Jonglage ebenfalls seinen Platz und war bereits das ein oder andere Mal schon auf der Chamäleon-Bühne zu bestaunen. Diese Kunstform umfasst nämlich nicht ‚nur‘ das wiederholte Werfen und Fangen verschiedener Gegenstände, sondern im weiteren Sinne auch Disziplinen wie Diabolo, oder das Poi Spinning. Auch Stefan Sing, der mit 12 Jahren mit Jonglage anfing, stand bereits auf der Bühne im Chamäleon. Für ihn stellt Jonglage ein perfektes Sinnbild für das Leben dar.
„Ein ständiges Umhertanzen und der Versuch alle Anforderungen so zu harmonisieren, dass man gut durchs Leben kommt. Ein elementarer Aspekt des Lebens wie des Jonglierens ist das Scheitern. Das Scheitern zu bejahen und aus dem Scheitern lernen um einen neuen Anlauf mit einem größeren Erfahrungsschatz zu machen. Geduldig zu sein und sich den Anforderungen zu unterwerfen und immer wieder anzufangen. Es gibt in der Improvisation öfters diese Momente, wo einfach alles perfekt ist. Wenn ich mich darüber freue, falle ich aus diesen Momenten der Perfektion heraus. Es ist genau das gleiche im Leben, bewerte nicht, gebe dich hin, bleibe geduldig und gebe nicht auf. Dann ist und wird alles gut.“
Neben Jonglage als Kunstform gibt es auch Jonglierspiele, bei denen mehrere Jongleur:innen gegeneinander antreten. Beim Joggling geht es zum Beispiel darum eine Strecke beim Jonglieren möglichst schnell zurückzulegen. Weltrekordhalter für 100m beim Jonglieren von drei Objekten ist Owen Morse mit unfassbaren 11,68 (!) Sekunden. Im Combat wiederum geht es darum, die oder den Mitstreiter:in am Weiterjonglieren zu hindern, während man selber weiter jongliert. Hierfür können zum Beispiel Keulen weggeschlagen, oder Ringe abgenommen werden. Besonders im Outdoorbereich erfreuen sich Feuerjonglage und Leuchtjonglage großer Beliebtheit. Im Varieté ist es häufig die Gentleman-Jonglage, die bewundert werden kann. Aus der Artistik der 1920er Jahre nicht wegzudenken, werden Alltagsgegenstände statt gängiger Requisiten verwendet. Sie wurden und werden dann jongliert oder balanciert.
Für Stefan Sing ist ein:e Jongleur:in aber nicht zwangsläufig ein „Gaukler und Narr mit drei Kamelen hintendran und einer roten Nase. Mit wie vielen Bällen kannst du jonglieren? Kannst du auch mit Messern jonglieren? Und mit Feuer?“ Sicherlich gibt es auch solche, aber er sieht es als sein Lebenswerk „Jonglage zum Tanztheater werden zu lassen. Es geht nicht darum so viele Objekte wie möglich in der Luft zu halten. Es geht nicht darum nach dem technisch schwierigsten zu streben, wenn dabei der Ausdruck leidet. Es geht nicht darum, sich in Gefahr zu begeben und es geht auch nicht darum, witzig dabei zu sein (was aber durchaus möglich ist). Wie kann ich meine Technik benutzen um ‚Etwas‘ zu kommunizieren? Und was kann dieses ‚Etwas‘ sein?“
Wie bereitet sich denn aber ein Jongleur wie Stefan Sing auf einen anstehenden Auftritt, oder eine neue Kreation vor? „Es hängt immer davon ab, was für Projekte, Performances anstehen. Technik wird eigentlich nicht mehr gemacht, die ist mittlerweile nach über 30 Jahren Jonglage einfach da. Es wird viel recherchiert, abhängig von der Kreation die gerade aktuell ist. Recherche beinhaltet sehr oft Improvisationen, die auf Video aufgenommen werden und dann später seziert werden. Im Allgemeinen ist die Improvisation mit verschiedenen Parametern meine Hauptweise des Jonglierens – sei es zum warmmachen, sei es zur Findung von Möglichkeiten, sei es einfach nur aus Spaß. Ein elementarer Teil des ‚Trainings‘ ist Yoga und Meditation, welche die Basis für alles andere bildet.“ Durch den rhythmischen, gleichbleibenden Zyklus vom Ballfangen und Ballwerfen hat Jonglage nämlich eine meditative Wirkung. Außerdem wird die Gehirntätigkeit gefördert, die graue Substanz im Gehirn verdichtet und das periphere Sehen verbessert. Logischerweise wird auch die Balance beim Jonglieren verbessert.
Gerade in Zeiten, in denen man vielleicht etwas mehr Zuhause ist, als sonst, kann Jonglage eine wunderbare neue Herausforderung sein. Einfach drei Bälle schnappen- und ab geht’s!
Text: Leon Benzerari
Fotos: David Konečný